Geschichte und Geschichten » Spielzeugherstellung - Günthermann 1911

Ich bin mal über diesen Beitrag in einer Ausgabe von "Machinery" von 1911 gestolpert, vielleich ist sie von Interesse. (Quelle von Archive.org im Anhang in Englisch)

Der Artikel handelt von der Spielzeugherstellung bei Günthermann. Die ganze Produktion war bei Günthermann.
Die lithographierten Bleche wird er aber auch bezogen haben, ev. von (Die Bayrische Insustrie, 1906; Quelle Archive.org):



DIE HERSTELLUNG VON MECHANISCHEM
SPIELZEUG IN DEUTSCHLAND

Von CHARLES PABESHUTZ

Jedes Jahr werden Millionen von Dollar für mechanisches Spielzeug ausgegeben, aber es wurde sehr wenig darüber geschrieben, wo und wie diese Spielzeuge hergestellt werden. Der Autor wird daher versuchen, im Folgenden eine allgemeine Vorstellung von der Herstellung von mechanischen Spielzeugen zu geben.
Die meisten der kleineren Spielzeuge, die in diesem Land verkauft werden, sind aus Deutschland und Frankreich importiert.
Während in der Spielzeugindustrie fast jedes verfügbare Material verwendet wird, ist das Hauptmaterial Metall, und die Herstellung von Metallspielzeug ist das einzige, was für den Leser von „Machinery von besonderem Interesse ist.
Bei der Herstellung von Metallspielzeug werden moderne Maschinen, Werkzeuge und Geräte verwendet. Das meiste Spielzeuge aus anderem Material als Metall wird in den Heimen der Bauern von Oberammergau – einem weltberühmten Ort – in den Bergen Sachsens hergestellt, in Sonneberg und Umgebung sowie in Württemberg.
Mechanisches Spielzeug wird hauptsächlich in Nürnberg, Stuttgart und Berlin in Deutschland, Paris, Monbiliard und Terre-noir in Frankreich und Barcelona in Spanien fabriziert. Bestimmt 75 Prozent aller mechanischen Spielzeuge werden aus Deutschland und Frankreich importiert.

Die Herstellung von mechanischem Spielzeug ist ein Industriezweig in Fabriken die man leicht mit den Werken der großen Unternehmen dieses Landes vergleichen kann, wie z. B. die der amerikanischen Can Co. Die Maschinen und die verwendeten Materialien sind die gleichen und viele hundert Werkzeugmacher und Formenbauer sind ständig an der Herstellung der benötigten Werkzeuge für die Blechbearbeitung.

Die Herstellung von Spielzeug erfordert erhebliches mechanisches Genie und viele großartige Erfindungen haben ihren Ursprung in einem Spielzeug.

Die bekanntesten Spielwarenfabriken in Deutschland sind S. Bing & Co., Nürnberg mit 6000 Beschäftigten; S. W. Günthermann, Nürnberg, mit über 400 Personen; Georges Carette & Co., Nürnberg mit 500 Personen; George Schoenner, Nürnberg mit 300 Angestellten und die Firma Lehmann in Berlin. Die führenden Hersteller von mechanischem Spielzeug in Frankreich sind Rossignol (Vve. CH. Rossignol et Cie., Nachf.) und Roullet et Decamps, Paris; der führende Spielwarenhersteller in Spanien ist Schul & Windisch, Barcelona.
Die Abbildungen zu diesem Artikel zeigen verschiedene Ansichten der Spielzeugfabrik von S. W. Güntherman, Nürnberg. Der Autor hat in dieser Fabrik als Werkzeug- und Formenbauer gearbeitet und sammelte dort seine ersten Erfahrungen in der Manufaktur von Spielzeug.


Das in Abb. 1 dargestellte Werk dieser Firma ist ein vierstöckiger Stein- und Backsteinbau mit einer Fläche von 40.000 m2. Das Gebäude ist in jeder Hinsicht modern und enthält Büros, Musterraum, Salon, Modellwerkstatt und Versuchsabteilung, Werkzeugraum, Druckerei, Blechwerkstatt, Lackier- und Montageabteilung, eine Abteilung für Uhrwerke, Kartonageabteilung und Lagerräume. Ein Teil des Versuchsraums in dem die Modelle fertiggestellt werden, ist in Abb. 2 dargestellt.



Die Exporteure entscheiden über einen möglichen Erfolg des hergestellten Musterspielzeugs. Bei positivem Urteil fertigen die Männer im Versuchsraum alle dafür benötigten Muster und Modelle für die Herstellung der Werkzeuge, Matrizen und Sondervorrichtungen um das Spielzeug herzustellen.
Beispielsweise für ein Spielzeugauto mit Gummireifen, mit einem Mini-Chauffeur am Steuerrad und einem Uhrwerk, um die Bewegung zu erzeugen. Ein solches Spielzeug kann für weniger als einen Dollar gekauft werden. Über fünfzig Werkzeuge und Matrizen werden für die Herstellung der Teile dieses Spielzeugs hergestellt. Alle Vorlagen oder Schablonen müssen von hand zugeschnitten werden. Kleine Laschen sind an dem einen Rohling vorhanden und im anderen entsprechende Schlitze zum lötfreien Zusammenbauen. Es ist wichtig ,dass Löten vermieden wird, da überwiegend bedrucktes Zinnblech verwendet wird.
Der schwierigste und teuerste Teil der Versuchsarbeit sind die Modelle für Teile wie den Chauffeur, Reiter, Pferde usw. Diese Figuren werden zuerst auf Papier entworfen und dann in Holz in der gewünschten Größe und Form geschnitzt. Die Holzschnitzerei wird als Muster verwendet, aus welchem ein Gips-Modell hergestellt wird und dieses Modell wird wiederum benutzt um einen Stanzstempel aus feinem Grauguss herzustellen.
Die Patrize des Stanzwerkzeugs besteht aus Weissmetall, deren Form von der Matrize übertragen weird. Der Weissmetallstempel wird in einem gusseisernen Stempelhalter eingebaut. Der Modellbauer ist nun bereit, seine Probe herzustellen, welche er von Hand zuschneidet.

Wenn das Modellspielzeug fertiggestellt ist, werden alle Vorlagen und Werkzeuge in den Werkzeugraum geschickt, der in Abb. 3 dargestellt ist.



Der Werkzeugbau, in dieser wie in anderen Blechindustrien, ist vielleicht die teuerste Abteilung, weil dafür die am höchsten qualifizierten Männern gebraucht werden. Die Ausstattung des Werkzeugraums ist von allerhöchster Klasse. Um die Kosten für die Prägeformen zu reduduzieren, werden die Formen mit der Hobelmaschine nachbearbeitet.
Weil die Unregelmäßigkeiten der Rohlinge viele Spezial-Fräser benütigen würden, werden Fräsmaschinen nur für Prägeformen für Zahnräder oder ähnlichem verwendet.



Abb. 4 zeigt ein Satz Prägeformen für die Herstellung von Autoräder.

Mit diesen Werkzeugen können 12.000 bis 15.000 Räder pro Tag in einem Arbeitschritt gefertigt werden. Das bedeutet, dass das Stanzen, Umformen oder Ziehen, Riffeln und Stanzen für die Speichen und das Mittelloch alles in einem Hub der Presse gemacht wird. Die Nabe besteht aus einem kleinen, in einer Metallform hergestellten Bleiguss.



Die Pressen sind in zwei großen Räumen untergebracht, in einem sind Handschraubenpressen und Fußpressen, wie in Abb. 5, der andere enthält die Kraftpressen, Scheren usw., wie in Abb. 6 dargestellt. Fast alle Pressen werden von Mädchen bedient. Die vielen tausend Teile aus den Pressräumen werden zur Sortierung und Lagerung in die entsprechenden Räume geschickt.









Alle Teile werden nach Fertigstellung geprüft, bevor sie in die in Abb. 10 dargestellte Montageabteilung kommen.



Die größeren und schwierigeren Teile werden von den Flaschnern, während die kleineren von Mädchen zusammengebaut werden. Wie bereits erwähnt, sind viele der Teile solcher Spielzeuge aus lithographiertem Zinnblech. Nur Rohlinge, die nicht bearbeitet werden können ohne das lithographiert Bild zu verletzen sind handgemalt. Diese Arbeit wird auch von Mädchen geleistet. Die bemalten Artikel werden zum Trocknen des Lacks in dampfbeheizte Kammern gelegt.



Einige dieser Kammern sind links in Abb. 11. zu sehen. Das ganze Rohmaterial und die Halbfertig- und Fertigeteile werden in speziellen Lagerräumen gelagert.
Ein wichtiger Bestandteil der Herstellung von mechanischem Spielzeug ist die Herstellung der Uhrwerke. Die Abteilung wo sie hergestellt werden, ist mit automatischen und manuellen Gewindeschneidmaschinen, automatische Uhrenzahnrad-Schneidmaschinen und Drahtschneide- und Stauchmaschinen ausgestattet. Jedes Jahr werden Millionen von Uhrwerken hergestellt. Die ganze Montage dieser Federwerke wird von Mädchen ausgeführt.



Die Tausenden von Pappschachteln, die für die Verpackung der Spielzeuge verwendet werden, werden auch in dieser Fabrik hergestellt.

Die Anzeige von Meßner ist wirklich ein toller Fund:

Es gibt um 1900 in Nürnberg Dutzende von lithographischen Kunstanstalten. Diese bieten Buchdruck und den Druck von Katalogen bzw. Preiscouranten - auch chromolithographisch - in allen mögliche Schattierungen an. Ein Teil davon wird auch die Blechlithographie im Programm gehabt haben, aber direkte Hinweise darauf wie in der obigen Anzeige sind rar.

Die Anzeige ist daher ein wichtiger Beleg für die Arbeitsteilung bzw. die Zulieferung von bedrucktem bzw. lithographiertem Blech an die Nürnberger Spielzeughersteller.

Im Großraum Nürnberg ist mir nur ein weiterer Betrieb bekannt, der nachweislich Zulieferer für die Spielzeugindustrie war: Blech Meier in Zirndorf. Dieser Betrieb wurde 1895 gegründet - und das Tollste: Er existiert noch heute:

http://www.meier-blechdruck.de/home.html

Das ist neben Bühler und J. A. Huck eine der ganz wenigen alteingesessenen Firmen aus der blechverarbeitenden Spielzeugindustrie in Nürnberg, die bis heute überlebt haben.