Geschichte und Geschichten » Bing in Amerika

Für viele deutsche Firmen war die Columbia World Fair (400 Jahre Kolumbus) Chicago, 1893 ein erster grosser Auftritt in Amerika. So auch für Bing, wo die präsentierten Produkte mit zwei Medaillen prämiert wurden.


Bing war mit einer grossen Produktpalette in den USA vertreten, Haushaltgeräte, Ton- und Bildabspielgeräte sowie das grosse Puppen- und Stofftiersortiment seien aber nur am Rande erwähnt.

Aus den Anfangsjahren sind bei Bing wenige Produkte bekannt, die spezifisch für den amerikanischen Markt entworfen wurden. Bei den Eisenbahnen tauchen im englischen Katalog von 1902 erstmals amerikanische Lokomotiven auf, diese wurden aber auch bei Gamages in England angeboten.

Anlässlich der Weltausstellung in St. Louis 1904 gingen die Franzosen der Frage nach, warum die Deutschen auf dem amerikanischen Markt so viel erfolgreicher seien. Antworten waren, dass die Deutschen sich nicht kulturell überlegen fühlten und auf den Geschmack des Absatzmarktes eingingen. Als Beispiel wird das Kopieren von indigenen Souveniers in Deutschland und anschliessender Verkauf im Grand Canyon an die ev. sogar deutschen Touristen gebracht. Auch seien sich Deutsche Handlungsreisende nicht zu schade die sprichwörtliche extra Meile zu den amerikanischen Kunden zu gehen.
Ein letzter Punkt war die Subventionierung von Frachtschiffen durch die deutsche Regierung.

Der grösste Konkurrent war Ives Manufacturing Co. in Bridgeport Connecticut. Beide hatten ein sehr ähnliches Eisenbahn Sortiment und Produkt-Design, sogar Loknummern waren vielfach identisch. Der Verdacht liegt nah, dass sich Bing bei Ives den dortigen Konsumentengeschmack abgeschaut hatte, um das gleiche besser und vor allem bis zur Hälfte billiger anbieten zu können. Erst 1910 konnte Ives bei den Verkaufszahlen in den USA Bing überflügeln.

Für Bings Nordamerika-Geschäfte war lange Zeit die Familenseite von Berthold Bing, dem Bruder Adolfs und Ignaz' zuständig.

In seinen Memoiren schreibt Ignaz, dass Berthold kein guter Geschäftsmann gewesen sei, er habe durch verantwortungslose Geschäftspraktiken Geld verloren und wurde als eine Art Bestrafung nach Amerika in die Verbannung geschickt. Seine zukünftige Frau folgte ihm. Berthold war zwischen 1867 und 1876 in New York und in St. Louis und ging verschiedensten Tätigkeiten nach, die Tellerwäscherkarriere beendete er allerdings schon als Tellerwäscher. Er erlangte die amerikanische Staatsbügerschaft und seine Frau gebar ihm die Kinder Bella, Max und Ida bevor er seine Verwandtschaft um Geld für eine Rückkehr nach Deutschland anpumpen konnte.

Von seinen 8 Kindern kehrten Bella, Max, Julie und Hans in den Jahren um 1897 erstmalig in die USA zurück.
Von Julie ist wenig bekannt, sie kam 1897 in Ellis Island an und soll um 1916 38-jährig in New York gestorben sein. Bella heiratete und hatte Kinder.

John (Hans) Bing war bis 1907 in London Leiter der dortigen Niederlassung von Bing und reiste dann auf der Kaiser Wilhelm II nach New York um den Vertrieb für die USA und Kanada zu übernehmen. 1913 heiratete er und hatte zumindest einen Sohn.


Dass Bing hart um Verkaufsanteile kämpfte, zeigt ein Gerichtsprozess in den USA, wo die Firma Margarete Steiff, John Bing unlauteres Geschäftsgebaren vorwarf. Nachdem es in Deutschland einen Streit um die Marke „Knopf im Ohr“ gab, haben die Handelsvertreter Bings in den USA mit Produkten von Steiff mit rausgeschnittenen Markenzeichen, bei ihren Kunden versucht Stofftiere zu verkaufen. Bing zeigte sich einsichtig, die Auftäge wurden storniert. Den Verkauf mit eigenen Produktentwürfen im Folgejahr 1914 hat Steiff aber dennoch gerichtlich zu stoppen versucht, mit der Begründung, dass eine zu grosse Ähnlichkeit gegeben sei.


Mit Beginn des 1.WK am 28. Juli 1914, gab es zunächst noch keine grossen Veränderungen in den USA. Am 5. Dezember berichtete John Bing, dass es keine Einschränkungen gebe und viel elektrisches Spielzeug bei ihm an der 381 Forth Avenue am Lager sei.

Noch 1916 tauchen im Sears Katalog Bing Züge auf. In Deutschland musste Bing aber auf Erlass spätestens 1917 die Spielzeugproduktion ganz einstellen und mit der verbliebenen Arbeiterschaft für den Krieg produzieren.

Damit wurde der amerikanische Markt den einheimischen Produzenten überlassen.
Um auf die Nachkriegszeit vorbereitet zu sein, gründete Bing 1917 die Continentale Vertriebs-Centrale Concentra GmbH.

Die amerikanischen Firmen wollten den so gewonnen Markt nicht mehr kampflos abtreten, 1916 wurde in New York der Verband der „Toy Manufacturers of the U.S.A.“ gegründet.
Mit viel Geld wurden Werbekampagnen wie „Buy American made Toys“ gestartet, zudem wurde beim US Kongress Einfluss auf die Politik genommen.

Eine Senatshörung zum Thema Importzölle fand im Mai 1921 statt. Die wichtigste Argumentation für eine Erhöhung der Zölle war, dass durch die Aufwertung des US-Dollars die amerikanische Industrie benachteiligt sei. Eine mitgebrachte deutsche Zugpackung für $1.25 hatte gegenüber einer gleichpreisigen Zugpackung von AF zusätzlich eine automatische Bremse. Ein anderer Wettbewerbsnachteil wurde aber ebenfalls offensichtlich, eine gleichwertige Packung von AF gab es nicht.

W.O. Coleman, Präsident von American Flyer zitierte einen Brief den er von W.F. Hafner erhalten hat. Hafner war mit Coleman Mitbegründer von American Flyer, führte aber seit 1914 sein eigenes Unternehmen, Hafner Manufacturing Co.
Im Brief berichtet Hafner, wie er während der New Yorker Spielwarenmesse im Büro von John Bing gesessen hatte. Mit den Katalogen von Hafner und AF in der Hand prahlte dieser, dass obschon jetzt günstiger, könne er seine Preise beliebig senken.

Mit dem „Tariff Act“ wurden ab dem 22. September 1922 die schon hohen Einfuhrzölle für deutsches und japanisches Spielzeug auf 70% verdoppelt. Der amerikanische Präsident konnte den Zollsatz zusätzlich nach eigenem Ermessen um 50% erhöhen oder reduzieren.
Für den Geschäftsverlauf von 1922 hatte das noch keine Auswirkungen. Die Versandhändler in den USA mussten im Januar, spätestens im Februar bestellt haben. Ein Grossteil der Lieferungen ging noch vor der Leipziger Frühjahrsmesse auf die Schiffe, damit im Juni mit Erhalt der Kataloge die ersten Bestellungen in den USA ausgeliefert werden konnten.

In Deutschland war die Wirtschaftssituation nach dem Krieg keinesfalls einfacher geworden. Geld für Neuinvestitionen fehlte und damit musste vielfach das Vorkriegssortiment weiter produziert werden.
Die thüringischen Wälder wurden für Kompensationszahlungen abgeholzt und für die Spielzeugproduktion musste Holz aus der Tschechoslowakei importiert werden.

Dennoch konnte sich Bing gerade durch Versandhändler wie Sears & Roebuck eine Zeit lang behaupten. Bereits vor dem 1.WK in den Katalogen, wurde Bing 1921 wieder ins Sortiment aufgenommen. Bei den Zügen dominierte Bing mit 14 Sets von 98 Ct bis $7.98. 1922 gab es 17 Anlagen von Bing bei gerade einem Set von AF.
Aber 1925, als sich die wirtschaftliche Lage in den USA soweit gebessert hatte, dass die Leute wieder mehr Geld hatten, wollte Sears am Aufschwung teilhaben und nahm Lionel in den Katalog auf. Das teuerste Set war nun mit $22.95 fast dreimal so teuer wie 1921. Im unteren Preissegment kam Marx dazu und 1927 gab es nurmehr ein Set von Bing.

1923 stand im Zeichen der Hyperinflation, viele amerikanische Kunden stornierten Ihre Bestellungen in der Hoffnung auf günstigere Wechselkurse. Rohstoffe mussten vielfach in Pfund oder Dollar bezahlt werden, wodurch Sparmassnahmen wie dünneres Blech und der Ersatz von Bandfedern durch Spiralfedern nötig wurden. Auch auf der Arbeiterseite rumorte es, Streiks wurden durchgeführt und mehr Lohn gefordert. Die Umstellung von Akkord- auf Stundenlohn soll zudem die Produktivität um 30% reduziert haben.
Die billigen Spielsachen blieben gegenüber den amerikanischen dennoch konkurrenzfähig, bei den teureren Teilen war aber das Gegenteil der Fall.

1924 wurde bei Bing der Vertrieb reorganisiert und von der Bing Corporation mit dem gleichen Personal übernommen. Ein Gerichtsprozess von John Bing gegen die Bing-Werke um Mietkosten im Jahre 1924 lässt an einem harmonischen Verhältnis zweifeln.

In den Folgejahren trat die Firma immer wieder mit Disputen mit den Behörden zu Einfuhrzöllen in Erscheinung: ist eine Dampfmaschine eine Dampfmaschine oder ein Spielzeug, sind Kindergramophone Musikwiedergabeapparate oder Spielzeuge, müssen auf abgebrannte Lieferungen Zölle bezahlt werden.

Bing konzentrierte sich vermehrt auf den kanadischen Markt mit Eaton's, einem Versandhändler aus Edmonton. Obschon nur 1/10 des US-amerikanischen Marktes, versprach das höhere Preise bei kleinerer Konkurrenz.

In Kanada war man schon vor dem Krieg präsent, die folgenden Marken wurden in Kanada geschützt:

Marke Logo GBN-Raute, Schriftzug „Bavaria“: 30. Dez. 1911
Marke Logo BW: 08. Sept.1924
Marke Bingola: 27. Juli 1928

Mit der Umstellung des Spur 1 Sortimentes von Ives auf „Standard Gauge“ konnte ein Sondergleis gefahren werden, wo die europäischen Hersteller nicht so schnell folgen konnten. Um Restbestände an Spur 1 Zügen zu verkaufen, mussten diese auf Spur 0 umgespurt werden.

Am 25.März 1927 starb John Bing und sein älterer Bruder Max übernahm die Leitung des Unternehmens. Max Bing hat dann wohl ohne das Mutterhaus den Vertrieb mit einer neu gegründeten Firma zusammen mit Louis Wolf übernommen, wie folgende Meldung aus einem Geschäftsbericht vom März 1929 zeigt:
„Die Liquidation unserer bisherigen Niederlassung in New York, der Bing Corporation, ist in die Wege geleitet. Der Verkauf unserer Artikel in den Vereinigten Staaten und Kanada erfolgt künftig durch die Bing-Wolf Corporation, New York, die zu diesem Zwecke gemeinsam mit der Firma Louis Wolf & Co., New York, ohne unsere finanzielle Beteiligung gegründet wurde.“

Die Weltwirtschaftskrise traf Bing besonders hart, die Firma schlitterte seit Anfang des 1. WK von einer Krise in die nächste und Firmenbeteiligungen und Grundstücke mussten nach und nach veräussert werden um zu überleben. Die Börsen hatten erst Mitte 1932 den Tiefpunkt erreicht, zu dem Zeitpunkt war Bing aber schon insolvent. Die darauf folgende grosse Arbeitslosigkeit und der damit geschrumpfte Markt hatte aber noch viel länger Auswirkungen.

Daher war der Konkurs von Bing und die Aufspaltung der Konzernteile für die restlichen Markteilnehmer nicht das schlechteste Auskommen und ermöglichte einigen von ihnen das weitere Überleben.

Bei Eaton konnte Bub zeitweise seine Züge anbieten, bevor dann die amerikanische Konkurenz ganz übernahm.

Die Bing-Wolf Corporation musste 1932 auch schliessen, Max Bing starb 1939.


Was bleibt?

Anders als bei Märklin, wo während dem 1.WK Krieg grosse Mengen an amerikanischen Güterwagen in Europa auf den Markt geworfen wurden, scheint das bei Bing nicht der Fall gewesen zu sein. Die wenigen Gusslokomotiven, die es in deutsche Kataloge schafften, könnten aber Restbestände sein.

Die erstaunlich hohe Zahl von Bings Ford Model T, Türmen von Fliegerspielen und Wassertürme in den USA ist ein Indiz dafür, dass bis zum Schluss noch einiges an Spielzeug in den USA verkauft wurde.


Quellen:
Geschäftsberichte Nürnberger Metall- und Lackierwarenfabriken 1911-1918
https://digi.bib.uni-mannheim.de/fileadm.../1675677638.pdf

Geschäftsberichte Bing-Werke 1919-1930
https://digi.bib.uni-mannheim.de/fileadm.../1675678391.pdf

David Farquhar hat einiges zu Bing in Ameika auf diesem Eintrag:
https://dfarq.homeip.net/bing-masters-of...erg-lithography

Report von 1923 über die Spielzeugindustrie Deutschlands:
https://books.google.ch/books?id=De4YUbD...20Werke&f=false

100 Jahre American Toy Manufaturers:
https://www.toyassociation.org/App_Theme...ycametoplay.pdf

Passagierlisten Ankunft New York:
https://heritage.statueofliberty.org/

Passanträge, Passagierlisten, Zivilstandsurkunden etc.:
Familysearch.org

Inserate, Zeitungsberichte:
https://www.loc.gov/
(Library of Congress)

Hallo Dieter

bei Concentra bin ich nicht sicher, was alles darunter lief. Immerhin hiess sie nicht Interconcentra, vielleicht war kontinental nur Europa.

Da gibt es sicher Spezialisten die viel tiefer drin sind..

Gruss Domenik

Die Vertriebsbüros New York, London und Paris waren nicht Teil von Concentra.

Aus dem Trade Information Bulletin zu "POSTWAR CONDITIONS IN GERMAN TOY INDUSTRY"

Zitat:

The selling organization of the group is the “ Concentra Aktiengesellschaft," Nuremberg, with
12 branches in Germany,
16 in other parts of Europe,
2 in the north of Africa,
2 in Java, and
5 in Central and South America
....

Apart from the 37 branches of the “ Concentra ," as already stated , the group enjoys the services of numerous other outlets, one of which is in New York ; another in London, and another in Paris.


Quelle:
Google Books

Gruss Domenik