Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen eine Zeit der Besinnlichkeit und der Gemütlichkeit. Eine Zeit, in der schönes altes Spielzeug für heimelige Stimmung sorgt und schöne Erinnerungen weckt.
Ich möchte gerne die Geschichte von Max erzählen.
Max der Matrose
Max mochte Tiere. Max mochte auch Pflanzen. Max wohnte in einem Haus ganz nahe an den großen Bergen. Am liebsten mochte er die Schafe. Die musste er nicht füttern. Sie liefen den ganzen Tag umher. Er musste nicht auf sie aufpassen. Das übernahm Rexi, die Schäferhündin.
Max musste sich um die Gänse kümmern. Er musste sie füttern und um den Gänsestall musste er sich auch kümmern. Wenn er damit fertig war, hatte er frei. Dann rannte er los. Hinab den Grashang, entlang des Schäferpfades, entlang der Landstraße.
Immer fort.
Bis er in die Stadt kam. Die Stadt lag an einem großen Fluss.
Durch die Straßen, die er gut kannte, führte sein Weg bis zur Brücke. Die Brücke war sehr groß und es fuhr sogar die Eisenbahn darüber. Es machte einen Heidenlärm, wenn sie dick umhüllt von weißen Dampfwolken, an ihm vorbei stampfte. Dann spürte er die riesigen roten Räder, getrieben von den Dampfzylindern, spürte, wie sie die Brücke erzittern ließen.
Seine Augen, aber, sie sahen nur die Dampfschiffe. Max wohnte in den Bergen, doch seit er das Buch der Seefahrt gelesen hatte, ließ ihn der Gedanke an Dampfschiffe nicht los. Max wollte zur See. So stand er oft auf der Brücke und sah nach den Dampfschiffen.
Dicker Rauch quirlte aus dem Schlot der Raddampfer, die mit den gigantischen Schaufelrädern das Wasser des Flusses aufpeitschten. Die Matrosen an Bord kannten ihn schon und riefen: „Ahoi Max, kleiner Matrose!“
Max aber wollte gar nicht Matrose sein. Er wollte Leuchtturmwärter werden. Er stellte sich immer und immer vor, wie er mit seinem Seesack in mäßiger Brise am Leuchtturm landet. Er alleine im Turm. Nur er und das Meer.
So träumte Max mehr als in einer Nacht von den Wellen, die mit dem Leuchtturm spielten, von den Möwen, die um das Kuppeldach kreisten und kreischten, wie die Sonne unterging und der silberne Mond den Leuchtturm lange Schatten werfen ließ.
Längst schon hatte er sich im Kaufladen einen Seesack und einen Seemannspullover für die kalten Nächte besorgt. Die wichtigsten Seemannsknoten hatte er geübt wie auch Seemannslieder und überhaupt die Seemannssprache. Ob „Ahoi“ oder „Hol über“. Er kannte nun die Bedeutung.
Auf hoher See. Max konnte Heuer finden. Eines Tages stand er vor dem Hafenbüro. „Wissen deine Eltern Bescheid?“ Die Frau mit der eckigen Brille und dem strengen Gesichtsausdruck war misstrauisch. „Ja“. Das glaubte sie wohl nicht, doch er konnte an Bord gehen. Er war jetzt Matrose. Endlich kam er seinem Traum näher.
Max musste die Glasenuhr kennen. Immer, wenn die Sanduhr abgelaufen war, wurde ein Schlag mehr auf der Glocke geführt. Achtmal wurde die Glocke geschlagen. So lange konnte Max schlafen, bis seine Wache begann.
Doch immer um zwei Glasen, stand er am Bug. Hier konnte er das Meer spüren. Die salzige Gischt sprühte ihr Leben in sein Gesicht.
Es ist schön am Bug. Hier taucht das Schiff tief in die Wellen. Das Meer ist um dich, wenn das Schiff mit dem Bug tief in die Wellen eintaucht. Du wirst nass und kannst in deinem Gesicht, auf deinen Lippen Salz schmecken. Das Schiff stampft und schlingert. Manchmal war es Max nicht wohl im Magen. Dann dachte er fest an den Sternenhimmel und an den Leuchtturm.
Die See war bewegt, es war fast stürmisch, als Max den Leuchtturm mitten im Meer erreichte, als das Schiff anlandete. Der erste Maat warf das Tau und zog das Schiff an den Landungssteg. Ein großer Sprung und Max hatte den Leuchtturm erreicht. Die schwere Eisentür knirschte und er musste sich mit aller Kraft gegen sie stemmen, bis sie endlich nachgab. Er hörte das Schiffshorn Abschied sagen. Es war tief laut und durchdrang selbst das Geräusch der Wellen, die gegen den Leuchtturm brandeten.
Tief dröhnte das Dampfhorn des Raddampfers beim Ablegen. Max lief ein Schauer über den Rücken. Die Brandung schlug gegen das schwere Eisentor des Leuchtturmes. Mit aller Kraft gelang es Max, die Tür hinter sich wieder in die Verrieglung zu schlagen. Eine besondere Ruhe spürte er im Turm. Dicke runde Stahlwände gaben ihm Geborgenheit.
Er war nun Leuchtturmwärter.
Er hatte sein Ziel erreicht, seine Bestimmung eingenommen. Endlich nach langer Reise hatte er sein Ziel erreicht.
Er war Leuchtturmwärter.
Unten war der Keller. Hier lagerten Ausrüstungsgegenstände. Er musste die Wendeltreppe hochsteigen. Im ersten Stock waren die Schlafplätze, dann erreichte er die Küche. Die Küche war auch Wohnzimmer. Alles war aus Metall. Die Wände und die Möbel. Ausgenommen der Tisch und drei Stühle. Die Kombüse bot alles, was man brauchte. Es gab einen Gaskocher und drei verbeulte Töpfe. Die Vorräte lagerten im Keller und mussten die steile Treppe heraufgetragen werden. Max hatte Aufgaben. Als Leuchtturmwärter war er vor Allem für das Leuchtfeuer verantwortlich. Sobald die Sonne hinter dem Meer versunken war, musste es immerfort leuchten. Wenn Max das Leuchtfeuer abends entfachte, musste er eine dunkle Brille tragen. Alles war dann rot erhellt.
Wenn die Sonne aber am Morgen wieder schien, hatte Max frei. Oft stand er dann ganz oben auf der Plattform und schaute auf das Meer und in den Himmel. Er war glücklich. Er stieg die gewendelte Treppe aus Stahlblech herab und brühte sich in der Küche einen Kaffee. Durch die Fenster konnte er das Meer sehen. Möwen tanzten in der salzigen Luft. Schöner konnte es nicht mehr sein. Nur aber, wenn sein Denken abgelenkt war. Wenn er die weißen Schaumkronen der Wellen sah. Dann musste er an sie denken. Er sah ihre schönen blonden Locken und ihr liebevolles Lächeln. Er sah ihre strahlend blauen Augen vor sich und wünschte sich, sie bald wieder zu sehen, in seinen Armen halten zu können.
Eines Morgens. Max hatte gerade das Leuchtfeuer gelöscht und stand wie immer auf der Plattform am goldenen Geländer, das so schön mit goldenen Kugeln verziert war. Da spürte Max einen Schmerz. Er griff sich an die Brust. Der Schmerz aber wurde nicht besser. Er griff sich an den Kopf. Der Schmerz aber wurde nicht besser. Da merkte er, der Schmerz war in ihm.
Es war Heimweh.
Drei Monate war es her, als der Raddampfer ihn zum Leuchtturm in der Meeresbucht brachte. Er atmete auf. Bald musste der Dampfer wiederkommen und ihn heim bringen.
Endlich wieder an Bord der Emily. Der Raddampfer stampfte in der See und die riesigen Schaufelräder drehten sich viel schneller als auf der Hinfahrt. Er musste nicht mehr als Matrose harte Arbeit verrichten, hatte er als Leuchtturmwärter genug verdient und konnte sich voll seiner Sehnsucht hingeben. Ob seine Flaschenpost wohl angekommen war? Seine Gedanken waren gefüllt mit Bildern und Fragen. Wie es wohl den Schäflein ginge, die erst das Licht gesehen hatten. Ob sie wohl alle gesund waren? Doch noch mehr sah er das Bild von Dannerl vor sich. Die Schaufelräder wühlten das Meer auf. Seine Lippen waren salzig wie das Meerwasser.
Er wünschte sich manchmal, hart arbeiten zu müssen. Dann, dachte er, verginge die Zeit viel schneller. So versuchte er, mit den Möwen, die immer über dem Schiff kreisten, ins Gespräch zu kommen. "Alles klar, Seemann?" sprach ihn plötzlich Kapitän Karl-Friedrich Bruno Wilhelm von Bug an. Der Kapitän hatte wohl bemerkt, wie er mit den Möwen sprach. "Weißt du, auf See, kann es recht einsam sein." "Ja, Sir, Kapitän", stammelte Max und zog die Nase hoch. Der Kapitän griff nach Maxens Schulter und drückte sie fest. "Das wird schon, bald bist du zuhause. Hast du ein Mädchen, Seemann? Weißt du, eine treue Liebe ist das Wertvollste, was ein Seemann gewinnen kann!"
Die Worte des Kapitäns begleiteten Max die ganze Reise. Immer hatte er das Bild von Dannerl vor sich.
Im Hafen angekommen, umschlang Max seinen Seesack und lief so schnell er konnte zum Bahnhof.
Schnaufend erreichte die Schmalspurbahn den Bahnhof in Oberberg, seinem Heimatdorf. Die Strecke über den Bergrück ist schon schwer für die kleine Lok zu erklimmen. Oft verlangt sie nach Kohle und Wasser. Von weitem sieht man den Rauch, die Rauchschwaden über den Baumwipfeln. Dann hört man die dünne, schrille Dampfpfeife der Lok. Der Bahnhof von Oberberg ist eigentlich nicht viel mehr als eine Hütte. Unten besteht das Bahnhäuschen aus dicken Steinquadern. Hier ist der Raum des Bahnwärters. Hier kannst du die Fahrkarten kaufen. Oben ist die Wohnstube, gefasst von kräftigem Fachwerk. Golde Strahlen der Oktobersonne hießen Max willkommen, als er mit seinem Seesack aus dem Zug stieg. Frisch geschnittene Wiesen begrüßten Max mit dem Duft seiner Heimat. Alles war wie immer. Alles war sein Zuhause.
Schnell den Waldweg hinauf bis fast über die Baumkronen. Zu den zwei Eichen. Hier wohnte Max. Zwei Eichen in Oberberg Nummer 1. Die Nummer musst du dir nicht merken. Es ist das einzige Haus.
Die Sonne mit ihren goldenen, noch warmen Strahlen, tauchte den Hof in wohliges Sonnenlicht. Zunächst begrüßten ihn die Schafe. Noch größer war aber die Freude bei Rexi, der treuen Hirtenhündin, die tollte und umhersprang. Das Allerschönste jedoch strahlte ihm schon von Weitem entgegen. Es war das helle Leuchten in den Augen seiner Liebsten. Dannerl rannte auf ihn zu, die Arme weit von sich gestreckt, um ihn sobald zu umfangen. "Endlich, mein Liebster hab ich dich wieder."
Er schloss sie in seine Arme und ihr Duft ließ seine Gefühle aufsteigen als wäre er in Dampf von Schiff und Bahn zugleich zum Himmel getragen.
Wohl weit mehr als eine Ewigkeit küsste er ihre zart erglühten Wangen und schaute immer und immer wieder in ihre Augen. Augen so klar und tief und blau wie in all seinen Erinnerungen, so klar und tief und blau wie ein Bergsee, wie ein sonnen-strahlender Himmel, wie das Meer zur schönsten Zeit.
"Komm, erzähl mir alles. Was hast du erlebt? Und sag mir auch, ist deine Sehnsucht nach Schiff und Meer und Meeresausguck gestillt?" Max schmiegte sich dicht an sie und nahm ihre Hand. „Weißt du, Dannerl, immer wenn ich die Schaumkronen im Meer sah, sah ich deine blonden Locken.“ Max erzählte Dannerl, wie er Fischschwärme und riesige Walfische gesehen hatte, die in dem blauen Wasser sich tummelten. Stürme hatte er erlebt, die den Leuchtturm erschütterten. Nie spürte er Angst, wohl aber mit jeder stürmischen Welle das Beben seines Herzens. Mit jedem pochenden Schlag aber wusste er, seine Liebe war tief, wusste, dass kein Abenteuer groß genug sein konnte, die eine, wahre Leidenschaft seines Lebens vergessen zu lassen, seine Dannerl. Als er das sagte, füllten sich die Augen seiner Liebsten mit Tränen. Sie füllten sich mit Tränen aus Freude und aus reinem Glück.
Lange saßen sie so unter dem Eichenbaum. Die Nacht begann sie einzufangen und umhüllte sie mit den zarten Schleiern des Nebels, der aus der duftenden Kräuterwiese aufstieg, ganz so als schenkte sie Max und Dannerl feinst gewobenes Gewand zur Feier der beiden Liebenden. Sie hatten sich wieder und die Welt war perfekt. Es war, als schwebten sie auf Wolken, im Himmel der ewigen Liebe.