Liebe Claudia, das ist ja ein richtiger Denkanstoß, den du da gerade geliefert hast. Damit will ich mich gerne mal abends befassen. Schöne Grüße in den Norden Botho
meine Absicht ist es nicht, alte Farbbedeutungen durch Denken zu ergründen, sondern durch Denken zu hinterfragen. Sie sind nämlich keineswegs historisch zementiert. Das Wissen verliert also nicht nur an Gültigkeit, wenn ich mich in fremde Kulturkreise bewege, sondern auch, wenn ich im eigenen Saft vor mich hin altere. „Die Blauen“ deutet man heute völlig anders, als noch in den 80er Jahren. Und was braune Soße ist, war in den 20er Jahren völlig unmissverständlich, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Das Beispiel der kunsthistorischen Bilddeutung sakraler Kunst hinkt in meinen Augen, weil da mit aller Macht die Deutungshoheit verteidigt wurde. Und das ist so ziemlich das Gegenteil von Denken.
Ich gerate gerne und oft mit Leuten aneinander, die Wissen für wichtiger als Denken erachten. Ich respektiere den Unterschied zwischen jenen Menschen, die viel wissen verglichen mit jenen, die weniger wissen. Doch Wissen als Macht anzuwenden, ist in meinen Augen nie und nimmer legitim. Da habe ich lieber Denker in einflussreichen Positionen.
Mir ging es ja gerade darum, durch Denken auf jene Farben als neu deutbares Signal zu kommen, die an Bedeutung verloren haben - und sei es nur in bestimmten Kontexten. In der Industrie betrachte ich violett als völlig unbelegt. Da stört es gar nicht, dass es in der Politik durch eine Minderheit belegt wird oder in der Kirche festgefahren ist.
Wir müssen auch hinnehmen, dass Inder, selbst mit dem Wissen über die weltweit bekannten Schrecken des dritten Reiches, völlig ungeniert mit ihrem Hakenkreuz umgehen.
Märklin hat in den Anfangszeiten zeitweise seine Gleise auch mit Farben gekennzeichnet, mit Leuchtfarben rot und grün. Sah potthässlich aus. Sie kennzeichneten die Art der Verstiftung an den Gleisenden, und durch die Farben konnte man schnell erkennen, welches Gleis man gerade zum Aufbau brauchte.
Na ja, schnell konnte man die Gleise trotzdem nicht erkennen, denn Leuchtrot wurden sowohl für die Gleise mit vier Stiften und als auch mit Parallelstiften verwendet. Die Gleise ohne Stifte wurden in einem leuchtenden Grün markiert. Wechselseitige Stifte gab es zu dieser Zeit nicht.
Die Gleise, das sei in diesem Zusammenhang hier am Rande vermerkt, bekamen danach Buchstaben, nämlich Parallelstifte bei den runden Ausführungen A und bei geraden Gleisen D. Gleise mit jeweils vier Stiften wurden bei Runden mit B gekennzeichnet und bei Geraden mit E. Gleise ohne Stifte kennzeichnet man bei Rund mit C und bei geraden Gleisen mit F.
Über den Zeitrahmen der Verwendung der Leuchtfarbe bei Märklin kann ich nichts sagen außer, dass diese Gleise sehr alt sind. Vllt kann Bodo dazu etwas schreiben.
Zur von Anselm angesprochenen Farbe "violett": Die für den Sammler schönste Farbe für einen Bierdeckel aus der Zeit von vor dem Krieg war violett. Die im Buchdruck aufgetragene und eingedrückte Farbe violett wurde allerdings von den Brauereien nicht so häufig bestellt, jedoch die Muster, die von den Druckereien an die Brauereien zwecks Anschauungsmaterial gingen, wurden oft in dieser Farbe ausgeführt, warum auch immer.
Ein wirklich schöner Bierdeckel für den Sammler war ein einseitig einfarbig violett bedruckter Bierdeckel in achteckig, eventuell auch violett und schwarz. Das gilt bis heute. Und bei den Eisenbahnern schlägt das Herz höher, wenn sie einen Rheingold-Wagen sehen oder den Henschel-Wegmann-Zug.
es gibt keine Wertung von Wissen und Denken! Wenn wir verantwortungsvoll mit unserem Leben umgehen wollen, müssen wir nach beidem streben. Und nur der kreative Umgang mit Wissen UND Denken bringt neue Erkenntnisse. Immer wieder spannend!!!
Daß die Swastika ein uraltes hinduistischen Symbol für die Kraft und Macht der Sonne ist, haben die Nationalsozialisten gewußt und sich zunutze gemacht. Schade!!!
ich sage nicht Wissen ODER Denken und gebe dennoch dem Denker den Vorzug vor dem Wiederkäuer von Wissen. Ich sehe es subjektiv wie ein Siegertreppchen. Wissen ist halt nur Silber und dennoch fast die gleiche Leistung wie Gold.
In der Musik wird schön zwischen dem Virtuosen und dem Komponisten unterschieden. Dort ist es sogar eher selten, dass beides hochkarätig zugleich in einer Person vorkommt. Trotzdem ist der Kreis nicht auflösbar wenn man fragt, was der Virtuose ohne den Komponisten wäre und was wäre der Komponist ohne den Virtuosen? So verschieden die Abhängigkeit ist, so unausweichlich ist sie dennoch.
Würde man Teams einteilen, fänden sich die Komponisten wie von selbst zusammen und ebenso die Virtuosen. Dabei haben wir noch nicht einmal unterschieden, um was für Musik es dabei gehen soll. So geht es mir mit dem Wissen und dem Denken. Sollte ich ein Team wählen, wäre es immer das der Denker. Wissen mag immer wieder mal inspirierend sein. Aber es zum Selbstzweck zu machen, wie es mir in der Schule vorgeführt wurde, kommt für mich nicht mehr in die Tüte. Dafür gibt es viel zu viel noch nicht Gedachtes, das mich reizt.
Eleonore Roosevelt soll mal gefragt worden sein, wie sie es schafft, mit jedem ein Gespräch führen zu können. Ihre Antwort soll gewesen sein:
Einfache Leute sprechen über andere Leute Gebildete Leute sprechen über Ereignisse Geniale Leute sprechen über Ideen
Das sieht wie eine Wertung nach Gesellschaftsschichten aus. Aber das trifft gar nicht unbedingt zu. Denn diese drei Sorten finden sich in Wahrheit überall in der Gesellschaft. Und es ist einfach, sie zu identifizieren. Man fragt beispielsweise: Was halten Sie von der Idee, Herrn oder Frau X mit dem Amt Y zu betrauen? An der Antwort wird man sehr schnell erkennen, wes Geistes Kind das Gegenüber ist. Es geht bei der Frage nicht um den Inhalt der Antwort sondern um die gewählte Kategorie, in der geantwortet wird. So, wie einfache Leute oft nicht gerade ein exzessives Maß an Ideen produzieren, haben geniale Leute oft keinen Sinn für das, was andere tun. Das Wissen gliedert sich dabei von Quantenmechanik bis zum Boulevardklatsch.
Den Wissenden allein wird man weder in der Arena, noch auf der Akademie besonders gut gebrauchen können. Aber er kann anregen, vom Schatz des Wissens in verschiedener Weise Gebrauch zu machen. Das macht ihn nicht schlechter oder besser als die anderen. Es zeigt nur, wie wichtig ein ausgewogenes Verhältnis aller drei Begabungen für die Vielfalt von Resultaten ist.
Außerhalb von mir mag es keine zulässige Wertung zw. Wissen vs. Denken geben. In mir aber schon. Dort entscheidet sich auch auf individuelle Weise, wie ich mit Imperativen umgehe. Ich muss nämlich gar nichts. Aber ich lasse mich auf das eine oder andere mehr oder weniger gerne ein. Das mag dann wie erfolgreiche soziale Kontrolle oder Teamgeist aussehen, sagt aber nicht viel über meine nächste Handlung aus. Es könnte eine Idee dazwischenkommen, die sämtliches Wissen in den Wind schreibt. Frag mal meinen Chef. Der leidet sehr darunter und trotzdem lasse ich mir das nicht nehmen.
ich singe mit Dir gemeinsam das Lied von der Freiheit des Geistes!!! Dennoch tun wir das in verschiedenen Stimmlagen - wenn wir denn einmal bei der Musik bleiben wollen...
Wir sind so erzogen, geprägt und ausgebildet worden, daß wir das Prinzip der Dualität verinnerlicht haben. Dieses Prinzip gedanklich in Frage zu stellen, ist schon an sich ein großes Abenteuer. Umso mehr, wenn wir uns dann einmal zu einem Perspektivwechsel aufraffen. Oh, was tun sich dann für wunderbare und unbekannte Welten auf!
Wissen und Denken als dialektische Dualität (ist das jetzt ein Pleonasmus??) zu sehen, ist geläufig. Da gibt es eine philosophische Perspektive und auch eine naturwissenschaftliche. Die Naturwissenschaft hat uns eröffnet, daß erst Wissen zum Denken führt!
Die Erforschung der neuronalen Verknüpfungen im menschlichen Gehirn war und ist sehr spannend! Erst Wissen (Erfahrung) schafft diese Verknüpfungen, die das Denken überhaupt ermöglichen. Je mehr Wissen ein Gehirn speichert, desto dichter und belastbarer wird das Netz der neuronalen Verknüpfungen im Gehirn. Je dichter das Netz geworden ist, desto schneller können wir denken, denn die elektrischen Leitungen sind kürzer geworden und die Impulse laufen rascher.
Jeder Wissenszuwachs bedeutet also einen Zuwachs an Denkvermögen! Und aus einem dichten Netz von neuronalen Verknüpfungen entstehen diejenigen "kurzen Wege", die uns Kreativität schenken und auch mal "um die Ecke" denken lassen...
Sicherlich hast Du auch Frederic Vester gelesen. Beispielsweise. Wer sich mit Pädagogik beschäftigt, kommt nicht um ihn herum. Kaspar Hauser ist immer noch ein Synonym für einen gedanklich orientierungslosen Menschen. Warum? Weil der arme Kaspar so reizarm aufwuchs, daß er kein Wissen sammeln konnte, das ihn zum Denken befähigte. So blieb er eine verkrüppelte Persönlichkeit.
Die uralte Frage, was eher war - die Henne oder das Ei - ist zumindest in diesem Falle beantwortet: Erst das Wissen, dann das Denken.
Anselm, es ist schade, unseren interessanten Disput hier abzubrechen. Aber: wir haben uns schon viel zu weit vom VIOLETT RAL 4000 entfernt und sind off topic geraten! Laß uns das irgendwann mal bei einem guten Rotwein vertiefen. Ich würde mich darauf freuen!
Anselm schreibt: In der Musik wird schön zwischen dem Virtuosen und dem Komponisten unterschieden. Dort ist es sogar eher selten, dass beides hochkarätig zugleich in einer Person vorkommt. Hier eine der Seltenheiten: Karolina Protsenko. 11 Jahre alt. Millionen von Noten im Kopf.
Klassisch oder Pop, sie verändert die ganze Musik. Wir meinen, das kennen wir genau so. Ist aber anders. Von ihr minimal verändert. Nicht, um die Gema- oder ramblefish usw.-Gebühren einzustreichen, sondern weil sie der Meinung ist, dass erst ihre Veränderungen den wahren Musikgenuss ermöglichen.