Die Geschichte von der Grundierungs-Mär muss neu überdacht werden: Bing hat grundiert - nicht bei allen Farben, d.h. wahrscheinlich nicht bei Schwarz, aber ein konkretes Bespiel für eine Grundierung ist die rote Lackierung einer Bing MR 420 2B Tenderlok von ca. 1927. Hier wurde mit einer matt-grauen Farbe grundiert und eine weitere weinrote (maroon) glänzende Deckschicht aufgebracht.
Die Frage ist, ob das für diese spezielle rote Farbe notwendig war, oder ob vor allem bei den teureren bzw. englischen farbigen Länderbahnloks dieser zusätzliche Lackierschritt verwendet wurde. Geholfen hat er jedenfalls nicht viel, denn der Lack blättert trotzdem großflächig ab - hier ein Stück von der Abblätterung von oben und unten:
Ich kann die zwei grauen und roten Schichten sogar an der Bruchkante erkennen, sie sind annähernd gleich dick, ich kann sie aber leider nicht scharf genug fotografieren - zu dünn für meine Kamera.
die Verwendung verschiedener Farben in Schichten ist eine Methode, die insbesondere in der Lasurtechnik zu finden ist. Selbst bei nicht lasierend aufgetragener Farbe ergibt sich eine tiefere, intensivere Farbe. Soll zum Beispiel ein Rot sehr intensiv strahlen, wird zuvor ein intensives Gelb aufgebracht. Ich arbeite grundsätzlich mit mehreren Farbschichten.
Das Abblättern rührt meiner Meinung nach daher, dass die Blechoberfläche nicht angeraut wurde und insbesondere durch die verschiedene Ausdehnung von Blech und Lack. Lack kann sehr spröde sein, je nachdem woraus der Lack besteht. Dabei ist die Haftung an der Metalloberfläche geringer als der Zusammenhalt der Lackstruktur. Der Lack reißt. Dem versucht man durch Zugabe von Ölen und weichen Harzen entgegen zu wirken.
Ja, das Abblättern kommt von der Blechoberfläche. Unter dem abgeblätterten Lack ist die Zinnoberfläche absolut spiegelnd glatt. Der Lack ist dann anscheinend nicht ganz elastisch genug gewesen, um die verschiedene Ausdehnung von Blech und Lack auszugleichen, so dass er irgendwann - wahrscheinlich erst nach Jahrzehnten - zu spröde wird und abblättert. Manche Lacke sind gerade noch elastisch genug, dass es nur zur Rissbildung kommt, manche haften auch nach Jahrhunderten gut und manche verabschieden sich einfach. Schade, dass das erst nach Jahrzehnten feststellbar wird, sonst hätten die Hersteller bestimmt ihre Mixtur angepasst - mehr Weichmacher wie Rizinusöl o.ä. Pünktlich nachdem die Firma nicht mehr existiert, tritt laut Murphys Law der Gewährleistungsfall ein.
Ich vermute, dass die mangelde Elastizität heutzutage ebenfalls ein Grund für eine Grundierung ist, denn viele moderne Lacke sind sehr hart und spröde im Vergleich zu Kopalharz. Ohne Haftvermittler verabschieden sie sich wahrscheinlich ebenfalls nach nicht allzu langer Zeit. Nicht umsonst soll man vor dem Lackieren die Oberfläche sanden. Diesen aufwändigen manuellen Schritt hat man sich bei Bing offensichtlich gespart. Die Lackierung war ja auch nicht für 100 oder mehr Jahre gedacht.
Mit dem Strahlen von Oberflächen wäre ich mal sehr vorsichtig. Leidvolle Erfahrung. Mal schnell was weggeben mit der Bitte - strahle mir das - geht meist schief. Solche Empfehlung würde ich nie geben. Wer selbst darauf kommt - bitteschön, selbst schuld wenns schief geht.
Das Anrauhen mit Stahlwolle oder Schleifließ genügt vollends für die Zwecke über die wir hier debattieren.
jetzt sind wir wieder an einem Punkt in einem Thema, der das Thema spaltet. Erst ging es um die Bestimmung eines Bahnwärterhauses mit Märklin typischen Fenstern, welches ein geschätzter Kollege erworben hat. Nun ist die Technik Lackierung als weiteres Thema in den Beitrag gerutscht.
Ich möchte Ypsilon beipflichten, wenn er sagt
Zitat von ypsilon im Beitrag #54Mit dem Strahlen von Oberflächen wäre ich mal sehr vorsichtig.
Dem kann ich zustimmen. Beim Bau meines Schaufelradschiffes Emily kam es zu einem Unfall, weil sich Sand vom Sandstrahlen in den Kantungen und Ritzen des Bleches verfangen hatte.
Zitat von snroettg im Beitrag #53Schade, dass das erst nach Jahrzehnten feststellbar wird, sonst hätten die Hersteller bestimmt ihre Mixtur angepasst - mehr Weichmacher wie Rizinusöl o.ä. Pünktlich nachdem die Firma nicht mehr existiert, tritt laut Murphys Law der Gewährleistungsfall ein.
Die Theorie, nachdem alles Schlimme, was eintreten kann, wird gefühlt jeden Tag bestätigt. John W. Campbell Jr. ist 1910 geboren. Auch wenn die Theorie offensichtlich zutrifft, ist sie auf alte Arbeitsweisen in der industriellen Spielzeug-Blechherstellung nicht unbedingt anwendbar. Ich bin der Meinung, dass möglicherweise um 1900 die Nachhaltigkeit in der Produktion nicht in Betracht kam. Es bleiben ja noch genug Aspekte, wie billige und einfache Herstellung, sowie Wertigkeit in der Erscheinung, was zur guten Reputation führte. Insbesondere der Aspekt der Vergänglichkeit von Industrieprodukten ist eine Erscheinung, die erst (gefühlt) seit 2000 in Erscheinung tritt. Dazu zwei Beispiele: Meine ersten Waschmaschinen waren vom Sperrmüll. Ich habe sie repariert und sie liefen danach noch einige Jahre. Das erkannte die Industrie. Sie hat die Komponenten so angepasst, dass kein Bauteil eine längere Lebensdauer hat, als das schwächste. Reparatur nicht sinnvoll. Wohingegen sich eine Kreissäge, die um 1920 hergestellt wurde, in meiner Werkstatt befindet. Es sind Geradeausspuren vorhanden, doch keinerlei Verschleiß ist feststellbar. Die alte Dame sägt mit einer unglaublich Präzision von 0,l mm auf 100 mm Sägetiefe.
Zurück zum Lack der alten Blechspielsachen. Es ist völlig unbekannt, womit Spielwarenhersteller Weißblech lackiert haben. Auch wenn ich mich der romantischen Vorstellung hingebe, es sei Spirituslack gewesen, gibt es hierfür keine Belege.
Viele Chemiefirmen wie Benkiser (1823), BASF (1865), Raschig (1881) und andere wurden im 19.Jahrhundert gegründet.
Ich würde mich freuen, wenn jemand Informationen bezüglich Lackierung beibringen kann.
Zumindestens von Märklin ist von Zeitzeugen überliefert, dass es Kopalharzlack gewesen sein soll. Außerdem kann man den Lacktyp schon ziemlich sicher auf Spirituslacke eingrenzen. Jeder, der schon mal aus Versehen probiert hat, einen Fleck mit Alkohol zu entfernen, wird das bestätigen. Ich hab mal vor Jahren Isopropylalkohol mit Terpentinersatz verwechselt. Verheerender Effekt. War gottseidank auf der Unterseite.
Welche Inhaltsstoffe dann tatsächlich in den Lack gekommen sind, ist einerseits wegen der unüberschaubaren Anzahl an Farbenherstellern und Lackrezepturen und andererseits wegen des Betriebsgeheimnisses kaum mehr im Detail ergründbar. Allein die Liste an historischen Pigmenten bei Kremer ist endlos. Welche Mischung an Pigmenten man beigegeben hat, ist genau wie bei den großen Malern deren Geheimnis und Können gewesen. Viele historische Pigmente und Zusatzstoffe sind heutzutage auch gar nicht mehr verfügbar. Und Kopal ist nicht gleich Kopal - welcher Kopal wurde konkret verwendet? Viele Abbaustellen natürlicher irdener Pigmente und teilfossiler Harze sind aufgelassen. Selbst wenn man genau wüsste, was drinnen war, wäre es wahrscheinlich in vielen Fällen unmöglich, die originale Rezeptur exakt zu reproduzieren. Grundsätzlich ist weiterhin bekannt, dass alle großen Hersteller Trockenöfen betrieben haben, um die Trockenzeiten zu beschleunigen. Time is Money. Das alles spricht für eine weite Verbreitung von schnelltrocknenden Spirituslacken auf Kopalharzbasis.
Das ist mehr oder weniger der aktuelle Wissensstand. Darüberhinaus erwarte ich auch in Zukunft keine großartig neuen Erkenntnisse zur jeweils verwendeten Lackmischung von z.B. Bing. Genauso wenig erwarte ich, dass das Lackrezeptbuch von Monet noch irgendwann auftaucht. Mit Spektralanalysen könnte man wie bei Monet die Mischung genauer untersuchen, aber das ist eine teure Utopie. Es ist also an uns, die jeweilige Farbigkeit durch Experimentieren mit Spirituslacken und Pigmenten zu reproduzieren. Und da führen bekanntermaßen viele Wege nach Rom.
Bestimmt hat eine Hochschule im Einzugsbereich traditioneller Farbenindustrie entsprechende Labore zur Untersuchung von Lacken. Das vielleicht kombiniert mit Restaurierung - da kreist sich vieles um Mannheim ein. Kannst du da villeicht einen Kollegenaustausch anschieben?
Die Spektralanalyse ist sehr teuer. Da werden mir die Kollegen ohne spezifische Forschungsmittel leider auch nicht helfen können. Forschung ist nicht umsonst - irgendwoher müssen Mittel dafür kommen - und wenn es nur Mittel für den Zeitaufwand sind, den die Forschung anstelle der Lehre formell kostet. Der Zeitaufwand für solche Analysen ist erheblich. Auch hier: Time is Money.
Die Spektralanalyse wird hauptsächlich verwendet, um zeituntypische Pigmente zu identifizieren, die auf Fälschungen hindeuten. Die Originalmischung kann man damit auch nur annähernd rekonstruieren. Die Chemie ändert sich im Verlauf der Jahrhunderte, d.h. die Substanzen reagieren miteinander, so dass sich die Ausgangsbasis eben nur näherungsweise bestimmen lässt. Wenn z.B. eine Spektrallinie für Blei oder Kohlenstoff auftaucht, so kann das von einer ganzen Reihe von Substanzen, Pigmenten oder Imprägnierungen herrühren. Absolute Mengenverhältnisse für eine Rezeptur sind daher schwer zu bestimmen.
Ein gutes Beispiel: Die genaue Zusammensetzung des Geigenlacks von Stradivari ist trotz viel Geld und Aufwand auch heute noch im Detail unbekannt. Man konnte die Grundkomponenten und gewisse Grundeigenschaften identifizieren, die den Klang vorteilhaft beeinflussen, aber wie genau Stradivari das Holz getrocknet, bearbeitet, grundiert, imprägniert, lackiert, poliert usw. hat, ist nach wie vor sein Geheimnis. Manche nachgebaute "Stradivari", die dasselbe klangliche Ziel mit etwas anderen Inhaltsstoffen verfolgt, klingt sogar im Blindtest besser als das Original (siehe z.B. https://www.spiegel.de/wissenschaft/tech...i-a-806748.html).
Die exakte Originalmischung ist gar nicht so wichtig. Es kommt eher auf die eigene Handfertigkeit und Lackiererfahrung an. Wer die richtige Maltechnik nicht beherrscht, wird auch mit dem Wissen von der Originalmischung keinen Monet bzw. Märklin erschaffen. Interessant wäre es natürlich trotzdem - ich investiere meine Zeit aber sinnvollerweise lieber in meine eigene Malerfahrung und "Giftmischerei". Da stehe ich noch ziemlich am Anfang, aber es wird langsam besser.
Sinnvoll wäre es auf jeden Fall, von den Lackierprofis, d.h. den bekannten Märklin Nachbauern und Restauratoren, mehr Infos zu deren Lackiertechnik in Erfahrung zu bringen. Genug Praxis- und Hintergrundwissen haben Sie mit Sicherheit. Die Frage ist, ob sie ihr Können an die Allgemeinheit weitergeben wollen. Soweit ich weiss, ist keiner davon hier im Forum aktiv.
Es war nur ein Vorschlag. Vor 30 Jahren hatte ich mal eine Vorlesung zum Thema Materialbestimmung und zudem habe ich eine Vorlesung zu Restaurierung gehört. Da ging es um diverse Methoden, z.B. das Einbetten von Lacksplittern in Harz, das Abschleifen bis zum sauberen Anschliff und dann mikroskopischer usw. Untersuchung. Das dürfte heute noch Stand der Dinge sein. Man weiß ja auch was man in etwas erwarten kann. Bestimmt gibt es das auch heute noch in der Lehre.
Das Thema Stradivari wird daran liegen, dass kein Besitzer sein Instrument hergeben wird. Außerdem ist das Thema Stradivari überbetont. Ich spiele darauf regelmäßig und das klingt fürchterlich.
Es wurden schon von diversen Stradivaris Proben genommen und analysiert. Worauf es beim Klang ankommt, weiß man daher schon recht genau. Trotzdem klingen moderne Geigen anders - nämlich laut Blindtest sogar besser. Eine echte Stradivari hat ein recht schlechtes Preis-Leistungsverhältnis - trotzdem will jeder eine haben, der was auf sich hält. Man könnte da jetzt schon ein wenig Angeberei vermuten. Ist eben gut für die PR und die Geldanlage aber objektiv betrachtet ist es für den reinen Klang nicht notwendig.
Das ist so ähnlich wie mit dem Hehr- und Märklin-Krokodil. Beide fahren vergleichbar gut, das Preis-Leistungsverhältnis von Märklin ist aber signifikant schlechter, trotzdem will jeder eins haben. Auch wenn man wie Hehr noch so genau das Original nachbaut, so ist es nachher trotzdem kein Original. Da fehlt halt die Patina und die kleinen Details. Die Patina könnte man auch nicht herstellen, selbst wenn man das Originallackrezept hätte. Da muss man anderweitig tricksen.
Mit welchen Tricks man Patina erzeugen oder nachbilden könnte, interessiert mich daher fast mehr als die Originalrezeptur. Wenn jemand da einen Trick oder entsprechende Restaurationserfahrung auf Lager hat - bitte her damit - es gibt nichts Fürchterlicheres als mit modernen knallig-stumpfen Farben ausgebesserte oder gar neulackierte "Originale". Ich denke, der Haupttrick besteht darin, eben keine modernen Farben bei der Restauration zu verwenden sondern Mischungen, die den alten Lacken ähneln, d.h. hauptsächlich Lacke auf Kopalharz-, Leinöl- oder Schellack-Basis. Wie z.B. auch Geigenlack, der aus einer Mischung von natürlichen Harzen und einem Anteil Schellack besteht.